
Für pflegende Angehörige können Begleitpersonen eine spürbare Entlastung sein. Für Seniorinnen und Senioren bringen sie Sicherheit und Abwechslung.
Begleitpersonen werden entweder über Organisationen vermittelt oder direkt angestellt. Bei einer Direktanstellung entscheiden manchmal allein die Angehörigen. In anderen Fällen werden die Seniorinnen und Senioren aktiv einbezogen: Sie wählen mit, welche Kandidatinnen oder Kandidaten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, nehmen an den Gesprächen teil und entscheiden schliesslich auch mit, wer die passende Person ist.
Sind Verträge abgeschlossen und die Rahmenbedingungen geklärt, entsteht zunächst ein Gefühl von Sicherheit. Die ersten Wochen verlaufen meist positiv, alle Beteiligten sind erleichtert. Mit der Zeit zeigt sich jedoch, dass schriftliche Vereinbarungen allein nicht ausreichen – im Alltag können Schwierigkeiten auftreten.
Ein Beispiel aus der Praxis
Eine pflegende Angehörige möchte ein paar Stunden pro Woche am Abend für sich haben – Zeit, um etwas zu tun, das ihr guttut. Die Seniorin unterstützt diesen Wunsch. Gemeinsam wird vereinbart, eine Begleitperson zu suchen. Es werden Inserate geschaltet, Bewerberinnen eingeladen. Die Seniorin ist beim Auswahlprozess dabei und entscheidet sich für zwei junge Frauen, die ihr sympathisch sind. Mit ihnen werden Verträge abgeschlossen, und in den ersten Wochen läuft alles wie geplant.
Eines Abends sagt die Angehörige, dass sie nun gehe und die Begleitperson gleich eintreffen werde. Plötzlich lehnt die Seniorin ab: Sie möchte die Begleitperson nicht sehen und fordert ihre Tochter auf, sie gleich wieder mitzunehmen. Kurz darauf betritt die junge Frau das Wohnzimmer. Die Seniorin: „Sie können gleich gehen, ich brauche Sie nicht.“
Die Angehörige lässt die Situation offen. Die junge Frau reagiert gelassen, lächelt und sagt: „Nein, nein – ich bleibe gern ein paar Stunden da.“ Statt sich zurückzuziehen, setzt sie sich zur Seniorin. Ihr Blick fällt auf die Bücher auf dem Tisch, und sie beginnt ein Gespräch darüber. Nach wenigen Minuten ist die Stimmung entspannter, das Eis gebrochen.
Am nächsten Tag kommt die Seniorin auf das Thema zurück. Sie äussert Zweifel, ob es einen Vertrag gibt, und möchte kündigen. Die pflegende Angehörige erklärt ihr Möglichkeiten: Sie könne die Begleitperson ins Nebenzimmer schicken, wenn sie Ruhe wünsche. Ebenso könne sie sie jederzeit rufen, wenn sie etwas brauche. „Die jungen Frauen sind in erster Linie zu deiner Sicherheit da“, sagt sie. Die Seniorin: „Es passiert nichts.“ Die Angehörige antwortet ruhig: „Ja, das stimmt. Und falls doch einmal etwas geschehen sollte, ist jemand in der Nähe.“
Wenn Vereinbarungen ins Wanken geraten
Solche Szenen kommen vor. Vereinbarungen, die zuvor gemeinsam getroffen wurden, geraten ins Wanken – nicht, weil etwas vergessen oder falsch gemacht wurde, sondern weil die Situation im Moment anders empfunden wird als bei der Planung.
In der Vorbereitung scheint alles klar: Inserate, Gespräche, Auswahl, Vertrag. Doch plötzlich fühlt es sich für die Seniorin falsch an – wie eine Überwachung. Für sie ist klar: Sie kann allein sein und braucht die Unterstützung nicht.
Wenn Vereinbarungen ins Wanken geraten, heisst das nicht, dass sie gescheitert sind. Zum Alltag mit älteren Menschen gehört, dass Entscheidungen immer wieder neu eingeschätzt, hinterfragt und angepasst werden. Es geht nicht darum, jede Diskussion für sich zu entscheiden. Viel wichtiger ist, verlässliche Strukturen zu schaffen.
Die Geschichte geht weiter.
An einem der folgenden Abende kommt die andere junge Begleitperson wie vereinbart. Vor dem Einsatz hat die Angehörige sie gebeten, sich zurückzuziehen, wenn sie merkt, dass die Seniorin allein sein möchte. Die Seniorin weiss, dass sie die Begleitperson jederzeit bitten kann, ins Nebenzimmer zu gehen.
An diesem Abend sagt die Seniorin jedoch nichts. Die junge Frau sitzt ihr gegenüber und liest ruhig in einem Buch – bis sie wieder geht.
Diese Erfahrung zeigt: Entlastung entsteht nicht durch perfekte Pläne, sondern dadurch, dass Vereinbarungen flexibel gelebt werden – mit Raum für Zweifel, Stimmungen und den Alltag.